Die lebhafte Diskusion um die Neue Musik verlangt heute eine grundsätzliche Besinnung auf das, was als "Form in der Musik" bezeichnet zu werden pflegt. Diese Besinnung kann nicht von den traditionellen "Formenlehren" ausgehen, die sich damit begnügen, die Werke der europäischen Kunstmusik nach konventionellen Form-Namen zu klassifizieren; sie kann auch nicht unbesehen jene neuen Gesichtspunkte und Vokabeln übernehmen, die der künftigen Entwicklung kategorisch den Weg weisen wollen. Sie muss in umfassender Weise die Grundlagen prüfen, die Bedingungen abwägen, die uns berechtigen, von "Form in der Musik" zu sprechen. Sie muss sich auseinandersetzen mit den historischen Gegebenheiten wie mit den zeiteigenen Bestrebungen und den neueren Erkenntnissen der Hilfswissenschaften, z.B. der Physiologie des Hörens und der akustischen Bedingungen des Musizierens. Sie muss den neuerdings viel gebrauchten Terminus "Struktur" untersuchen und klären sowie das Verhältnis die Form betreffender Aussagen zur Ästhetik definieren. Im ersten Teil dieses Buche werden die historischen Aspekte der Musizierformen, beginnend mit Analysen von Volksliedern aller Kontinente, fortschreitend bis zu den Gebilden der europäischen Kunstmusik unserer Zeit behandelt. Der Grundsatz, jedes Musikstück der Form nach als eigenständig und unabhängig von traditionellen verbalen Bezeichnungen anzusehen, führt auf überraschende Einsichten, z.B. über die Rolle der "Dualform" im 18. un dder "Entfaltungsform" im 20. Jahrhundert. Ein zweiter, allgemein-theoretischer Teil untersucht die materiellen, physiologischen und psychologischen Voraussetzungen für das Formen mit Tönen. Es ergibt sich ein Formbegriff, aus dem die geschichtlich unabhängigen Möglichkeiten der Reihung, der Gleichgewichtsbildung und der Entfaltung hervorgehen. Sie stehen jeweils in definierter Beziehung zum physiologischen Zeitablauf und umschreiben alle historisch gegebenen Gebilde. Über 100 Notenbeispiele verdeutlichen den Text, ausführliche Register ermöglichen rasche Orientierung.